Wie oft habe ich diesen Satz in den letzten Jahren schon gehört: “Wir sind schon agil, wir müssen nichts mehr anpassen!”

Da kriege ich kurz einen Puls von 180. Dann muss ich mich zurücklehnen und mir wieder das Kernprinzip der Agilität in Erinnerung rufen: “Bessere Wege finden um Software zu entwickeln.” (Agile Manifesto). Das agile Manifest ist nun schon seit 20 Jahren online. Wer lediglich diesen ersten Satz des Manifest gelesen und verstanden hat, weiss dass Anpassungen zur Agilität dazu gehören. Viele kennen sogar noch die vier Wertepaare vom Manifest, die wenigsten jedoch die darunter angehängten 12 agilen Prinzipien.

Also dreimal kurz durchatmen. Der Mensch ist ja bekanntlich ein Gewohnheitstier. Frei nach dem Motto: “Never change a winning horse.” Wenn wir uns einmal eine Verhaltensweise zugelegt haben, die funktioniert, dann lassen wir nur ungern davon ab. In der heutigen VUCA Welt ist leider das Festhalten an alten Gewohnheiten nicht mehr eine gewinnbringende Strategie. Das mussten schon viele Firmen in den letzten Jahren schmerzhaft erfahren. Kleinere, schnellere und flinkere Firmen konnten neue Marktbedürfnisse schneller abdecken oder sich schneller an die Änderungen anpassen.

Fast fish eats the slow fish

Fast fish eats the slow fish

[Klaus Schwab, WEF Davos Februar 2015, https://www.weforum.org/agenda/2015/02/are-you-ready-for-the-technological-revolution/]

Auf das Verhalten der Mitarbeiter in Firmen bezogen bedeutet dies, dass durch stetiges Lernen bestehende Gewohnheiten hinterfragt und neue Wege und Verhaltensmuster angewendet werden. Ein weit verbreitetes Instrument in der agilen Welt dafür ist die Retrospektive. In der durch den Scrum Master geführten Retrospektive hinterfragt das Team seine bestehenden Abläufe, sucht nach Verbesserungen, diskutiert offen über Fehler und bringt so jeden einzelnen in seiner Entwicklung weiter. Damit das aber auch passiert, ist (insbesondere in der Retrospektive) eine grosse Portion Mut und Offenheit erforderlich. Ich muss den Mut haben, Fehler einzugestehen. Daraus zu lernen. Das ist für viele in bestehenden Firmenkulturen sehr schwer. Dort werden nämlich Fehler für “finger pointing” und Abmahnungen missbraucht. Den Chefs fällt dies sogar noch schwerer, da sie ja zum Chef ernannt wurden, weil sie ja besser als die anderen sind, d.h. ihnen passieren natürlich auch weniger Fehler. Zumindest sieht das die Organisation so. Mit selbstorganisierten Teams in der agilen Welt ist schon mal dieser Umstand aus dem Weg geräumt. Die Teams müssen sich gegenseitig für ihre Versäumnisse verantwortlich machen. Das gelingt nur durch echtes und ehrliches Feedback. Was wiederum eine Portion Mut erfordert auch mal ein negatives Feedback zu äussern, ohne sein Gegenüber zu verletzen.

Es ist darum nicht verwunderlich, dass der Scrum Guide mit der Version aus dem Jahr 2016 folgende Werte als Basis des Scrum-Frameworks aufgenommen hat:

SCRUM Säulen
  • Fokus

  • Respekt

  • Mut

  • Offenheit

  • Selbstverpflichtung

Zusammen mit den tragenden Pfeilern der Transparenz, Überprüfung und Anpassung entfaltet sich das Scrum Framework zum Effizienzmotor. Leider verstehen viele Firmen nicht, dass genau diese Werte die Basis sind, um agil zu werden. Lediglich durch die Einführung von neuen Prozessen, Rollen und Artefakten wird eine Firma noch lange nicht agil. Erst wenn die Menschen in der Organisation die oben genannten Werte spüren und auch vorgelebt bekommen, dann wird ein agiler Ruck durch die Firma gehen. Dann werde ich auch nie mehr den Satz hören müssen: “Wir sind schon agil, wir müssen nichts mehr anpassen!”

In diesem Sinne: Habt Mut und geht neue Wege. Je mehr ihr neue Wege geht, desto mehr wird dies zu eurer neuen Gewohnheit und ihr werdet selber zum “fast fish”   .

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Stefan Meier

Stefan Meier
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